März und April 2024: Kommende Veranstaltungen und mehr

Obwohl yiddish.berlin in letzter Zeit als offizielle (oder besser gesagt, sehr inoffizielle) Gruppe weniger aktiv erschien, ist Berlins dezentrale, jiddische DIY-Community lebendiger denn je.

Es gibt eine ganze Reihe von wichtigen “jiddischen” Veranstaltungen in der Stadt:

Außerdem gibt es einige aktuelle Informationen über die Entwicklungen in der lokalen jiddischen Community:

  • Der jiddische Gesprächskreis Shmues un Vayn wurde kürzlich im englischen Teil des Forverts vorgestellt, der Titel lautete: “You can now hear people speaking Yiddish in bars all over Berlin“. Das mag vielleicht noch nicht ganz stimmen, aber wir sind auf dem besten Weg dahin, da wir uns unserem 50. Treffen nähern. Der Gabbai von Shmues un Vayn, Jake Schneider, gab im Januar einen Workshop über die Gründung und Wahrung solcher Kreise, der von KlezCalifornia veranstaltet wurde (die Aufzeichnung ist auf hier verfügbar). Er gab auch ein Interview für den Podcast Proste Yiddish in, nun ja, einfachem Jiddisch.
  • Ein neuer, von Katerina Kuznetsova koordinierter Poesiekreis, der jiddische Gedichte schreibt, trifft sich nun alle zwei Wochen, um die neuesten Gedichte ihrer Mitglieder zu besprechen, die sie etwa beim Londoner Yiddish Open Mic Cafe, bei einer vom Leivik-Haus organisierten Lesung zum Gedenken an Moyshe Dovid Guiser und wer weiß wo vortragen.
  • Der langjährige wöchentliche Lesekreis, koordiniert von Arndt Beck, widmet sich nach wie vor unserem Berliner zeyde Avrom Nokhem Stencl. Die Teilnehmer lesen nicht nur jeden Sonntag seine Gedichte, sondern übersetzen auch Stencls Lyrik und Prosa in verschiedene Sprachen.
  • Eine neue Initiative ist im Gange, um eine Minibibliothek mit Büchern in und über Jiddisch einzurichten, das Berliner Tshemodan-Bibliotekl (die kleine Berliner Kofferbibliothek). Nach einer spontanen Spendenaktion (hier kann noch immer gespendet werden) reisten drei von uns nach Hamburg zu einem Verkauf jiddischer Bücher durch die Salomo-Birnbaum-Gesellschaft. Wir kehrten tatsächlich mit einem Koffer voller jiddischer Bücher nach Hause zurück. Mehr Informationen über die Bibliothek demnächst.



Forverts: Berliner Künstler verweben jiddische Poesie in ihre Arbeiten

Screenshot vom Forverts-Artikel

Der berühmte jiddische Forverts widmet unserer Ausstellung Di farbloyte feder | Berliner zeydes eine ausführliche Besprechung. Die deutsche Übersetzung folgt hier hoffentlich bald. Und nachgereicht sei auch noch unser kleines Booklet zur Ausstellung.

Update 21. Januar 2020

Hier endlich die Übersetzung:

Berliner Künstler_innen verweben jiddische Poesie in ihre Arbeiten

von Ekaterina Kuznetsova (Übersetzung: Horst Bernhardt)

Der August 2019 war für die Jiddisch-Szene in Berlin ein turbulenter Monat. Mehr als 70 Studenten beteiligten sich am zweiten internationalen jiddischen Sommerkurs, der von der Pariser Medem-Bibliothek in Zusammenarbeit mit der Freien Universität abgehalten wurde.

Außerdem präsentierte sich im August YIDDISH BERLIN, »ein informeller Kreis von in Berlin ansässigen Künstler_innen, Wissenschaftler_innen, Aktivist_innen und Enthusiast_innen, die sich dem Jiddischen als Sprache, geistige Haltung und Lebensform widmen«, wie es die Website der neuen Organisation formuliert. Der erste Auftritt von YIDDISH BERLIN war eine Ausstellung zweier lokaler Künstler, Ella Ponizovsky-Bergelson und Arndt Beck, unter dem Titel Die tintenblaue Feder – Berliner Großväter.

Die in der Ausstellung gezeigten Werke demonstrieren das Verweben von visueller Kunst und Literatur. Beide Künstler arbeiten auf ihre individuelle Art und Weise mit Texten und nutzen dabei als Material Papier, Stoff und Beton. Der Ort selbst wurde zu einer Art Exponat, welches mit dem Ende der Ausstellung verschwand. Die Themen der Ausstellung – Zeit und das Aufeinandertreffen von Zukunft und Vergangenheit – wurden klar und deutlich erkennbar, und sogar der Namen des Ausstellungsortes – Galerie ZeitZone – passte dazu. Ist Kunst in Verbindung mit dem Jiddischen etwas historisch Überholtes oder blüht diese Kombination weiter? Das ist eine der wichtigsten Fragen, die die Künstler gestellt haben.

Ella Ponizovsky-Bergelson, eine Enkelin des berühmten sowjetjiddischen Schriftstellers Dovid Bergelson, wurde in der Sowjetunion geboren und wuchs in Israel auf. Sie studierte in Jerusalem und New York und lebt zurzeit in Berlin. Ihre farbige Biografie und ihre Kenntnis unterschiedlicher Kulturen und Sprachen – sie spricht Russisch, Englisch, Deutsch, Hebräisch, Arabisch und Jiddisch – hat eine starke Auswirkung auf ihre Arbeiten. In ihnen erforscht sie die Themen Identität, Integration und Migration durch »Text und die Visualisierung von Sprache«. Nach Auffassung von Ella Ponizovsky-Bergelson ist das Hauptelement einer Kultur die Sprache. Durch Nutzung unterschiedlicher Alphabete schuf sie sich ihre eigene Technik einer hybriden Kalligraphie, um die Flexibilität von Identitäten und Kulturen hervorzuheben.

Für die Ausstellung wählte sie ein bekanntes Gedicht von Kadya Molodovski: »Meine papierene Brücke«. Dieses Gedicht ist Dovid Bergelson gewidmet und gehört somit auch zur persönlichen Geschichte der Künstlerin und ihrer Familie. Es beschreibt die Reise aus der Vergangenheit in ein schönes helles Morgen voll neuer Hoffnung.

Beim Schreiben bzw. Aufmalen des Gedichts bediente sich die Künstlerin des althebräischen (auch kanaanäisch genannten) Alphabets, in dem die ersten hebräischen Texte aufgezeichnet wurden und das später von der heute noch gebräuchlichen Quadratschrift abgelöst wurde. Ella Ponizovsky-Bergelson fühlt sich durch diese archaische Schreibweise an die heutige Lage des Jiddischen erinnert. Sowohl das kanaanäische Alphabet als auch das Jiddische, meint sie, seien umgeben von einer Aura des Geheimnisvollen, da beide stark in Vergessenheit geraten seien.

»Diese archaischen Buchstaben bitten darum, entziffert zu werden, damit das Gedicht wieder lesbar wird – ein Zeichen dafür, wie weit die meisten von uns entfernt sind von unseren Wurzeln und von der Kulturgeschichte der Stadt, in der wir leben.«

Arndt Beck stammt vom Niederrhein und lebt in Berlin. Für seine Arbeiten benutzt er Fotografien, Texte und Bilder. Außer seiner künstlerischen Tätigkeit ist er auch in der Berliner Jiddisch-Szene aktiv. Seit einigen Jahren leitet er den örtlichen Jiddisch-Lesekreis und organisiert Veranstaltungen zur jiddischen Literatur. Sein jiddischer Lieblingsdichter ist Avrom Sutzkever, dessen Tagebuchnotizen aus dem Jahr 1946 er gerade übersetzt. Er hat auch einige Gedichte Sutzkevers ins Deutsche übertragen, darunter das Gedicht Sirius, das ihn zu einem seiner in der Ausstellung gezeigten Bilder inspirierte.

Faktisch war Sutzkever in dieser Ausstellung eine zentrale Figur. Die sieben Collagen unter dem Titel Berliner Großvater basieren auf Fotos des Dichters und seiner Familie, die verschiedenfarbig und mit unterschiedlichen künstlerischen Techniken präsentiert werden. Der Künstler sieht eine wichtige Verbindung zwischen Sutzkever und Berlin, denn dieser war der erste jiddische Dichter, der nach dem Holocaust hierherkam. Die hellen satten Farben, die Beck verwendet, deuten auf eine Wiederbelebung und neue Hoffnung für die jiddische Literatur hin.

In anderen Arbeiten hat Arndt Beck Texte der jiddischen Dichter Mordechai Gebirtig und Moyshe Kulbak genutzt. Hier ist die Verbindung zwischen Text und Bild abstrakter. Auf A4-großen Blättern erkennt man Umrisse und geometrische Formen, die an hebräische Buchstaben erinnern. Jede Arbeit hat ihre besondere Stimmung, und zusammen bilden sie ein harmonisches Gemisch von Bild, Klang, Farbe und Form.

Die Ausstellung wurde begleitet von einem Veranstaltungsprogramm aus Vorträgen (zum Beispiel über Bashevis Singers Yentl aus Trans-Perspektive), Konzerten, Filmen und Lesungen, etwa von Dovid Bergelsons Erzählung Zwei Mörder, die auf Englisch, Jiddisch und Deutsch vorgetragen wurde. Hauptziel des Programms war es, die Jiddisch-Aktivitäten in Berlin in ihrer ganzen Breite zu zeigen. Alle Mitwirkenden leben in Berlin, kommen aber ursprünglich aus aller Welt: neben Deutschland auch aus Israel, Russland, der Ukraine, Polen und den USA.

Die Veranstalter sehen die Zukunft des Jiddischen in Berlin optimistisch, weil sie ein ernsthaftes Interesse daran wahrnehmen, und haben schon zahlreiche Ideen, wie es weitergehen könnte.